
Bildanalyse mit künstlicher Intelligenz
Schwerpunkt Zellbiologie
Aufnahme einer COS7-Zelle mit einer Kombination aus Lattice-Light-Sheet (LLS)-Mikroskopie und PAINT (Point Accumulation for Imaging of Nanoscale Topography Labeling). Der Bildanalyse-Algorithmus DECODE rekonstruiert auch feinste Details der Zelle und benötigt dafür weniger Zeit als andere Programme.
Quelle: https://www.laborjournal.de/rubric/special/special/2021_10_03.php
Als der niederländische Naturforscher Christiaan Huygens im ausgehenden 17. Jhd. das erste achromatische Mikroskop mit einem Zwei-Linsen-Okularsystem erfand, war damit ein wichtiger Schritt hin zur Entdeckung des Mikrokosmos gemacht. Sein Mikroskop (von gr. mikros → “klein” und gr. skopein → “betrachten”) wies allerdings noch nicht alle technischen Raffinessen auf, um eines der wichtigsten und zugleich allen Lebewesen gemeinsamen Merkmals zu erforschen: der Zelle. Erforderlich war dafür u.a. die Verbesserung des Auflösungsvermögens. Dieses gibt nämlich den kleinsten noch wahrnehmbaren Abstand zweier Punkte an. Das menschliche Auge verfügt über ein Auflösungsvermögen von ungefähr 100 Mikrometern. Die meisten Zellen sind jedoch kleiner. So weist eine durchschnittliche menschliche Zelle eine Durchmesser von nur 25 Mikrometern auf (mit Ausnahme der deutlich größeren Eizelle). Zwar können ausgewachsene Pflanzenzellen auch Größen von bis zu 300 Mikrometern erreichen,- um allerdings die Gesamtheit des Lebens erfassen zu können, war insbesondere eine Verbesserung der Mikroskopie unerlässlich. Erst sein Zeitgenosse Robert Hooke,- ein englischer Universalgelehrter,- schaffte es dann mit der Konstruktion seines zusammengesetzten zweilinsigen Auflichtmikroskops erstmals Zellen abzubilden. Mit einer scheinbar kleinen Verbesserung der Optik konnte so plötzlich der zelluläre Aufbau verschiedenster Pflanzenteile untersucht werden,- wie die Zellen des Flaschenkorks, die Hooke in seinem für die Zellbiologie fundamentalen Werk “Micrographia” abbildete und beschrieb. Seit dem hat sich die Lichtmikroskopie zur wichtigsten Methode der modernen Zellbiologie entwickelt,- damit gleichzeitig auch zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel der Medizin und Naturforschung.
Es gibt heute eine Vielzahl mikroskopischer Techniken, wie etwa Fluoreszenzmikroskopie im Rahmen der Lichtmikroskopie, bei der farblose Strukturen mit fluoreszierenden Farbstoffen versetzt sichtbar gemacht werden können. Zur Sichtbarmachung von Strukturen im Nanometer-Bereich bedient man sich der Elektronenmikroskopie,- beispielsweise der Rasterelektronenmikroskopie (REM) oder der Transmissionselektronenmikroskopie (TEM). Damit können dann auch Chromosomen mit einem Durchmesser von ca. 20 nm oder auch Proteine, wie etwa Hämoglobin mit ca. 7 nm Durchmesser, mitunter räumlich dargestellt werden. Mittlerweile sind sogar mikroskopische Bilder von Atomstrukturen bekannt. Allen diesen Verfahren der modernen Mikroskopie ist allerdings gemeinsam, dass sie enorme Datenmengen generieren. Beispielsweise können bei der Lichtscheibenmikroskopie Terabytes (TB) an Daten zusammen kommen. Um eine Vorstellung von diesen Größenordnungen zu erhalten: 1 TB entspricht 1 Billion Bytes. Nimmt man an, dass ein Buchstabe in einem Buch ca. 1 Byte benötigt, so passen 1 Billionen Buchstaben in einem TB. Der erste Band des Harry Potter Romans hat etwa 500.000 Buchstaben. Damit passen theoretisch 2 Millionen solcher Bücher in einem TB. Solche Datenmengen lassen sich nur mit Hilfe von Computern auswerten. Was früher also noch monatelanges mühseliges Mikroskopieren bedeutete, um beispielsweise Zellen zu zählen oder deren Entwicklung zu verfolgen, kann heute mit Software zur Datenauswertung am Rechner nicht nur viel präziser, sondern auch deutlich schneller erledigt werden. Normale Software kann dabei durch besonderen Code entscheidend verbessert werden: Mit der Verwendung von künstlicher Intelligenz (KI) erreicht die Analyse im Rahmen der Zellbiologie neue Dimensionen.
KI hat ihre Geburtsstunde 1956 im “Summer Research Project on Artificial Intelligence” und ist eine Technik, die es dem Computer ermöglicht, Intelligenz nachzuahmen,- u.a. mit Algorithmen, die anhand vieler Daten lernen anpassungsfähiger und autonom agieren zu können. Man spricht von maschinellem Lernen. Genau diese Methode ermöglicht eine effiziente Segmentierung von zellulären Bilddaten. Hierbei bedeutet Segmentierung, aus generierten “rohen” Informationen in Form von Pixeln, schließlich wieder aussagekräftige Bilder zu konstruieren. Verschiedene Pixel-Muster, welche für uns Menschen als “Zahlensalat” zunächst unbrauchbar sind, werden so durch den KI-gestützten Prozess des Segmentierens zu einzelnen Objekten mit Bedeutungsinhalt,- z.B. einem Zellkern. Um allerdings dem Computer beizubringen, aus reinen Zahlenwerten verschiedene mitunter farbige und dreidimensionale Bilder in Form einzelner Zellen oder Organellen zu machen, braucht es einen Algorithmus zum automatisierten Segmentieren. Es braucht also Trainingsdaten,- d.h. Beispielbilder. Diese können allerdings nicht einfach als Rohmaterial in die KI eingefügt werden, sondern müssen von fachkundigen Menschen zunächst selbst bearbeitet werden. Dazu gehört z.B., genau festzulegen, welches Pixel zu welcher Zelle gehört und ob es innerhalb oder außerhalb der Zelle liegt. Farbinformationen und Helligkeitswerte sind ebenfalls wichtig. Darüber hinaus muss auch beachtet werden, dass KI zwar in der Lage ist, grundsätzlich aus sich selbst heraus zu lernen und sich selber zu erweitern, allerdings noch lange keine Zauberei darstellt: Wenn man die KI also auf Mitochondrien trainiert werden damit bei zukünftigen Bildaufnahmen auch nur Mitochondrien erkannt. Andere Organellen kann die KI folglich dann noch nicht erkennen. Besondere Dynamik erhält das maschinelle Lernen im Rahmen der zellulären Bildgebung, wenn Forscher verschiedener Fachrichtungen zusammen treffen und gemeinsam ihr gesamtes Know-how in die KI speisen. So entwickelt das Team um Anna Kreshuk Algorithmen für die Rekonstruktion von Mikroskopie-Aufnahmen basierend auf einem künstlichen neuronalen Netz (U-Net → erlaubt einmal entwickelte Algorithmen auch auf andere Fragestellungen anzuwenden). Ein anderes Projekt namens DECODE, wird von dem Machine-Learning-Spezialisten Jakob Macke sowie dem Elektronenmikroskop-Experten Srinivas Turgana verwirklicht. Dieses KI-gestützte Tool soll Daten aus Mikroskopieverfahren zukünftig genau lokalisieren,- d.h. selbständig bestimmen, welches Molekül sich an welchem Ort in der Zelle befindet. Wiederum andere Projekte befassen sich mit dem automatisierten Erkennen von verschiedenen Mikroorganismen oder Viren mithilfe von Markertechniken und trainierter KI-Software. Als besonders wichtig für die zukünftige Entwicklung der biologischen Wissenschaften ist dabei die Art der Veröffentlichung hervorzuheben: Erfreulicherweise haben wir im 21. Jhd. nicht nur zu jeder Zeit alle Informationen über Computer ständig in Sekundenschnelle verfügbar, sondern dass auch häufig kostenlos. So beispielsweise über die öffentlich zugängliche Plattform “GitHub”.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die Bildanalyse mit künstlicher Intelligenz in vielerlei Hinsicht bereits heute ein sehr wichtiges Werkzeug der biologischen und medizinischen Wissenschaften darstellt und künftig wahrscheinlich zu unvorhersehbaren Erkenntnissen zum Leben an sich führen wird.
Quellenangaben:
1. Laborjournal 10/2021, S. 42 – 45.